Wie viel Gemeinnützigkeit steckt im neuen Koalitionsvertrag?

Die 177 Sei­ten des am 24. Novem­ber 2021 ver­kün­de­ten Koali­ti­ons­ver­trags der ers­ten Ampel-Koali­ti­on auf Bun­des­ebe­ne las­sen auf vie­le Neue­run­gen hof­fen. Die neue Regie­rung setzt dabei in vie­len Berei­chen auf das Steu­er­recht. Dabei bleibt auch die Gemein­nüt­zig­keit nicht unbe­rück­sich­tigt. An so man­cher Stel­le dürf­te die Ampel nach unse­rer Auf­fas­sung jedoch etwas mehr Fort­schritt gewagt werden.

Was steckt drin?

Ist man im neu­en Koali­ti­ons­ver­trag auf der Suche nach „der einen Pas­sa­ge“, die sämt­li­che geplan­ten Vor­ha­ben im Bereich der Gemein­nüt­zig­keit gesam­melt erläu­tert, sucht man ver­geb­lich. Denn die­se eine Stel­le gibt es nicht. Ähn­lich wie die The­men Kli­ma­schutz und Digi­ta­li­sie­rung – nur lei­der nicht ganz so häu­fig – sind die ein­zel­nen Aspek­te über das Gesamt­werk ver­streut. Der auf­merk­sa­me Leser muss sich somit eigent­lich zunächst durch alle 177 Sei­ten durch­ar­bei­ten, um infor­miert zu sein. Wer das aus guten Grün­den nicht möch­te, den­noch beab­sich­tigt alles Wis­sens­wer­te zu erfah­ren, darf sich beru­higt zurück­leh­nen und unse­re Zusam­men­stel­lung der wich­tigs­ten Aus­sa­gen lesen.

Stär­kung des Ehrenamts:

Bereits in der Prä­am­bel des Ver­trags fin­det sich das Ehren­amt als stär­ken­der Fak­tor für den demo­kra­ti­schen Zusam­men­halt wie­der. Die her­aus­ra­gen­de Bedeu­tung des frei­wil­li­gen Enga­ge­ments der Zivil­ge­sell­schaft ist für die Koali­tio­nä­re also offenkundig.

So ist bei­spiels­wei­se beab­sich­tigt, das digi­ta­le Ehren­amt (z.B. Blen­ded Lear­ning, Unter­stüt­zung digi­ta­ler (Lern-)plattformen, Online Com­mu­ni­ty Arbeit, u.a.) sicht­ba­rer zu machen und recht­lich zu stär­ken. Und auch die Deut­sche Stif­tung für Enga­ge­ment und Ehren­amt soll in ihrem För­der­auf­trag unter­stützt wer­den und zusätz­li­che Mit­tel erhal­ten, um das bür­ger­li­che Enga­ge­ment in struk­tur­schwa­chen Räu­men zu for­cie­ren. Zudem sol­len ver­mehrt jun­ge Men­schen für das Ehren­amt begeis­tert wer­den (z.B. durch die Ver­bes­se­rung und Dyna­mi­sie­rung des Bun­des­frei­wil­li­gen­diens­tes) und Senio­ren soll ein leich­te­rer Zugang zur Par­ti­zi­pa­ti­on und Enga­ge­ment ermög­licht werden.

Im Bil­dungs­be­reich ist beab­sich­tigt, dass zivil­ge­sell­schaft­li­ches Bil­dungs­en­ga­ge­ment und die Ein­bin­dung außer­schu­li­scher Akteu­re geför­dert wird, die ehren­amt­li­che Betei­li­gung im Kam­mer­we­sen soll zur Stär­kung des Mit­tel­stands und der frei­en Beru­fe die­nen und ein Ehren­amts­kon­zept in föde­ra­ler Abstim­mung durch bun­des­weit ein­heit­li­che Frei­stel­lungs- und Ver­si­che­rungs­schutz­re­geln der Hel­fe­rin­nen und Hel­fer soll dazu die­nen, dass Frei­wil­li­ge bes­se­re Rah­men­be­din­gun­gen vorfinden.

Die ehren­amt­li­che Betei­li­gung soll zudem ent­bü­ro­kra­ti­siert und von Haf­tungs­ri­si­ken ent­las­tet werden.

Unser Kom­men­tar: All das schei­nen sinn­vol­le Maß­nah­men zur Stär­kung des Ehren­amts zu sein. Das „Wie“ hin­ter all den Vor­ha­ben ist gegen­wär­tig noch nicht kon­kre­ti­siert. Wir sind gespannt und wer­den die wei­te­ren Ent­wick­lun­gen auf­merk­sam beob­ach­ten und anlass­be­zo­gen berichten.

Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit reloaded:

Auch das The­ma Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit hat es auf Sei­te 88 des Koali­ti­ons­ver­trags geschafft, nach­dem ein ers­ter Geset­zes­ent­wurf der Grü­nen am 19. Mai 2020 bereits im Aus­schuss für Bau, Woh­nen, Stadt­ent­wick­lung und Kom­mu­nen des Bun­des­tags schei­ter­te. Die Ampel-Koali­ti­on ver­sucht damit – ent­ge­gen star­ker Lob­by­in­ter­es­sen – ein bereits in den 1990er Jah­ren abge­schaff­tes steu­er­li­ches För­der­kon­zept zu reak­ti­vie­ren und ver­spricht sich davon, dem jähr­li­chen Schwund von ca. 60.000 Sozi­al­woh­nun­gen ent­ge­gen­wir­ken zu können.

Ob es die Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit nun mit ent­spre­chen­der Regie­rungs­be­tei­li­gung schafft, in Geset­zes­form gegos­sen zu wer­den, ist noch offen. Sicher scheint jedoch, dass dies kein leich­tes Unter­fan­gen dar­stel­len wird.

Unser Kom­men­tar: Ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund der aktu­el­len Lage am Woh­nungs­markt dürf­te die Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit eine sinn­vol­le Unter­stüt­zung bie­ten. In die­sem Kon­text wird es beson­ders span­nend wer­den, ob der Gesetz­ge­ber die Ein­schrän­kun­gen für Wohn­raum im Grund­steu­er­ge­setz auf­lö­sen wird. Erfül­len Räum­lich­kei­ten die bewer­tungs­recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen einer Woh­nung, kön­nen Sie trotz Ver­fol­gung gemein­nüt­zi­ger Zwe­cke bis­lang nicht von der Grund­steu­er befreit wer­den. Ins­be­son­de­re in der Kinder‑, Jugend- und Alten­hil­fe sowie in der Ein­glie­de­rungs­hil­fe stellt die Grund­steu­er nach wie vor eine unnö­ti­ge Belas­tung dar.

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Moder­ni­sie­rung, Kon­kre­ti­sie­rung und Trans­pa­renz des Gemeinnützigkeitsrechts:

Neben der Stär­kung des Ehren­amts und der Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit hat sich die neue Koali­ti­on kei­nem gerin­ge­ren The­ma ver­schrie­ben als der Moder­ni­sie­rung des Gemein­nüt­zig­keits­rechts und der Besei­ti­gung von Rechts­un­si­cher­hei­ten. Dazu beab­sich­tigt sie auch die ein­zel­nen Gemein­nüt­zig­keits­zwe­cke zu kon­kre­ti­sie­ren und gege­be­nen­falls zu ergän­zen. Zen­tral sind dabei die medi­en­wirk­sa­men The­men Jour­na­lis­mus, E‑Sports sowie die poli­ti­sche Betä­ti­gung gemein­nüt­zi­ger Orga­ni­sa­tio­nen und erwei­ter­te Trans­pa­renz­pflich­ten (bei­spiels­wei­se durch die Offen­le­gung der Spen­den­struk­tur) für diese.

Seit der Attac-Recht­spre­chung des Bun­de­fi­nanz­hofs im Janu­ar 2019 wur­de viel­fach Kri­tik über die im Urteil fest­ge­hal­te­nen Grund­sät­ze zu den Gren­zen poli­ti­scher Betä­ti­gung von NPOs geäu­ßert. Ins­be­son­de­re die nahe­zu will­kür­li­che Anwen­dung der Grund­sät­ze der Recht­spre­chung in der Pra­xis führ­te dem Ver­neh­men nach zu frag­wür­di­gen Kon­flik­ten. So muss­te der BFH zuletzt klar­stel­len, dass die Grund­sät­ze des Urteils nicht ohne Wei­te­res auf ande­re gemein­nüt­zi­ge Zwe­cke über­tra­gen wer­den können.

Begrü­ßens­wert ist auch, dass der lang­jäh­ri­gen For­de­rung nach­ge­kom­men wer­den soll, dass Jour­na­lis­mus unter gewis­sen Vor­aus­set­zun­gen in den Genuss steu­er­li­cher Pri­vi­le­gi­en kom­men kön­nen soll, um des­sen Unab­hän­gig­keit zu stär­ken und lang­fris­tig zu sichern.

Das Vor­ha­ben, E‑Sports als gemein­nüt­zig anzu­er­ken­nen, steht ganz im Zei­chen der Aus­rich­tung auf die jun­ge Wäh­ler­schaft, der Digi­ta­li­sie­rung und des gegen­wär­ti­gen Zeitgeistes.

Letzt­lich bleibt zu hof­fen, dass klar kon­tu­rier­te Gren­zen gezo­gen wer­den und durch etwa­ige Kom­pro­mis­se kei­ne zusätz­li­chen Rechts­un­si­cher­hei­ten kodi­fi­ziert werden.

Unser Kom­men­tar: Fakt ist, dass den Koali­ti­ons­part­nern die zen­tra­le Bedeu­tung des Gemein­nüt­zig­keits­rechts in Deutsch­land bewusst ist. Auch wenn das Gemein­nüt­zig­keits­recht zuletzt durch das Jah­res­steu­er­ge­setz 2020 einer deut­li­chen Reform – gera­de im Bezug auf die Erleich­te­rung von Koope­ra­tio­nen – unter­zo­gen wur­de, gibt es eine Viel­zahl an Hür­den und Unsi­cher­hei­ten, denen noch abge­hol­fen wer­den soll­te. Es bleibt zu hof­fen, dass die neue Regie­rung den ein­ge­schla­ge­nen Weg kon­se­quent fort­setzt und das Gemein­nüt­zig­keits­recht über die im Koali­ti­ons­ver­trag benann­ten Maß­nah­men hin­aus weiterentwickelt. 

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Erleich­te­rung für Spenden:

Die Pra­xis zeigt, dass Sach­spen­den regel­mä­ßig pro­ble­ma­tisch für die Leis­ten­den sind und deren Erfolg oft­mals am deut­schen Umsatz­steu­er­recht schei­tert. Durch das Jah­res­steu­er­ge­setz 2020 kam dies­be­züg­lich kei­ne Neue­rung in die Geset­ze. Dem­nach ist es für Unter­neh­men bis­wei­len und irr­sin­ni­ger­wei­se güns­ti­ger, ihre nicht ver­kauf­ten Waren zu ver­nich­ten, anstatt sie für gemein­nüt­zi­ge Zwe­cke zu spen­den. Die neue Regie­rung will sich dem anneh­men und ver­spricht Erleich­te­run­gen. Ergän­zend sol­len haf­tungs­recht­li­che Fra­gen im Zusam­men­hang mit Spen­den jeg­li­cher Art geklärt wer­den und wei­te­re steu­er­recht­li­che Erleich­te­run­gen fol­gen. Die inhalt­li­che Aus­ge­stal­tung bleibt abzuwarten.

Unser Kom­men­tar: Erwart­bar ist, dass den bereits wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie durch das Bun­des­mi­nis­te­ri­um der Finan­zen geschaf­fe­nen (BMF) Erleich­te­run­gen für Sach­spen­den (1. BMF-Schrei­ben; 2. BMF-Schrei­ben) dau­er­haft gefolgt wird.

Inter­na­tio­na­li­sie­rung und Europäisierung:

Die För­de­rung des zivil­ge­sell­schaft­li­chen Enga­ge­ments durch die Inter­na­tio­na­li­sie­rung des Gemein­nüt­zig­keits­rechts las­sen auf ambi­tio­nier­te Vor­stö­ße hof­fen. Betrach­tet man die Unein­heit­lich­keit der Rechts­ord­nun­gen im inter­na­tio­na­len Ver­gleich, ins­be­son­de­re im Gemein­nüt­zig­keits- und Spen­den­recht, lässt sich jedoch an einer zeit­na­hen Umset­zung zwei­feln. Die regel­mä­ßig beim BFH anhän­gi­gen Strei­tig­kei­ten über Sat­zungs­aus­le­gun­gen zur gemein­nüt­zig­keits­recht­li­chen Aner­ken­nung aus­län­di­scher NPO bestä­ti­gen die­se Ein­schät­zung. Ob und in wel­cher Form hier eine uni­la­te­ra­le Äqui­va­lenz­prü­fung Abhil­fe und Erleich­te­rung schaf­fen kann, bliebt abzuwarten.

Das Vor­ha­ben, eine EU-Rechts­form – ver­mut­lich nach dem Vor­bild einer Euro­päi­schen Genos­sen­schaft oder einer Euro­päi­schen Gesell­schaft – zu schaf­fen und inso­fern die Har­mo­ni­sie­rung des euro­päi­schen Gemein­nüt­zig­keits­rechts vor­an­zu­brin­gen, ist unter­stüt­zungs­wür­dig. Gera­de dem Koope­ra­ti­ons­ge­dan­ken des wohl­fahrt­li­chen und gemein­nüt­zi­gen Han­delns kann dadurch auch grenz­über­schrei­tend Rech­nung getra­gen wer­den. Bedin­gung ist – wie so oft – eine büro­kra­tie­ar­me Ausgestaltung.

Anrei­ze in der Pflege:

Die neue Regie­rung beab­sich­tigt, die Steu­er­frei­heit des Pfle­ge­bo­nus auf 3.000 € zu erhö­hen und steu­er­freie Zuschüs­se für Pfle­ge­be­ru­fe ein­zu­füh­ren, um den Berufs­stand zu stärken.

Unser Kom­men­tar: Nach­dem wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie die Dis­kus­si­on um die häu­fig pre­kä­re Arbeits­si­tua­ti­on der Pfle­ge­kräf­te in der öffent­li­chen Debat­te end­lich Gehör fand, sind die im Koali­ti­ons­ver­trag fest­ge­hal­te­nen Vor­ha­ben begrü­ßens­wert und soll­ten umge­hend umge­setzt werden.

Umsatz­steu­er­frei­heit für Bildungsleistungen:

Die Umsatz­steu­er­be­frei­ung für gemein­wohl­ori­en­tier­ten Bil­dungs­dienst­leis­tun­gen soll bei­be­hal­ten wer­den und euro­pa­rechts­kon­form aus­ge­stal­tet wer­den. Hin­ter­grund ist wohl die jün­ge­re EuGH-Recht­spre­chung zu § 4 Nr. 22 Bs. a UStG. Bereits mit dem Jah­res­steu­er­ge­setz 2019 soll­te eine Reform der Umsatz­steu­er­be­frei­un­gen für Bil­dungs­leis­tun­gen umge­setzt wer­den. Die­se schei­ter­te jedoch auf den letz­ten Metern. Wie es nun kon­kret wei­ter­ge­hen soll und wel­che gesetz­ge­be­ri­schen Maß­nah­men ergrif­fen wer­den, bleibt abzuwarten.

Fort­schritt wagen – aber bit­te konkret

Zusam­men­fas­send bleibt fest­zu­hal­ten, dass der Koali­ti­ons­ver­trag der neu­en Regie­rung ein bun­tes Pot­pour­ri an gesetz­ge­be­ri­schen Vor­stö­ßen in Aus­sicht stellt. Neue­run­gen im Bereich des Gemein­nüt­zig­keits­rechts wur­den an vie­len Stel­len mit­ge­dacht. Aller­dings bleibt der Ver­trag an den aller meis­ten Stel­len wage. Inwie­weit die jewei­li­gen Ankün­di­gun­gen zu Ende gedacht wor­den sind, bleibt abzu­war­ten. Die eine oder ande­re Kon­kre­ti­sie­rung wäre für die betrof­fe­nen Bran­chen wün­schens­wert gewesen.

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