Gerade in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft ist die umsatzsteuerliche Organschaft elementar. Die Zusammenarbeit im Verbund / Konzern würde ohne umsatzsteuerliche Organschaft kaum Möglich sein – führt sie doch dazu, dass der gesamte Leistungsaustausch zwischen den verbundenen und eingegliederten Unternehmen ohne Umsatzsteuerbelastung bleibt. Umsatzsteuer, die – wenn sie entstehen würde – beim Empfänger nicht als Vorsteuer abziehbar wäre.
Die umsatzsteuerliche Organschaft war in der Vergangenheit stets Anlass für Rechtsstreitigkeiten – in den verschiedensten Punkten. Ging es mal um die Frage der Eingliederungsmerkmale oder um die Frage, ob Personengesellschaften auch Organgesellschaften sein können, so ist ganz aktuell der Streit über eine scheinbar äußerst banale Frage entbrannt, nämlich: wer schuldet die Umsatzsteuer im Falle einer umsatzsteuerlichen Organschaft?
Zwei Senate des Bundesfinanzhofs haben entsprechende Vorlagefragen an den Europäischen Gerichtshof adressiert, zu beiden Verfahren (C‑141/20 und C‑269/20) liegen nun seit Januar die Schlussanträge der Generalanwältin vor. Zugegeben, dass sind noch keine Urteile, die Anträge der Generalanwaltschaft wiegen jedoch bei den Richtern des EuGH üblicherweise schwer. Alleine das ist Rechtfertigung genug, sich mit den möglichen Konsequenzen auseinanderzusetzen. Zumal – und das ist hier anders als bei den bisherigen Streitfällen – die Unternehmer Nutznießer der Rechtsprechung werden könnten.
Nach Meinung der Generalanwältin verstößt Deutschland mit seiner nationalen Regelung, wonach der Organträger alleiniger Schuldner der Umsatzsteuer für die Organschaft ist (seiner Umsatzsteuer als auch die der eingegliederten Organgesellschaften) gegen die europäische Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Steuerschuldner sei vielmehr die Mehrwertsteuergruppe selbst. Dementsprechend seien die Festsetzungen gegen Organträger aufzuheben und der Saldo der gezahlten Steuer den Unternehmen zurückzuzahlen. Soweit so gut, wer jetzt aber der Meinung ist, dass die Steuer sicherlich an anderer Stelle wieder zurückgeholt wird, der irrt. Mehr als die Auszahlung passiert erstmal nicht. Schlicht aus dem Grunde, dass im nationalen Umsatzsteuergesetz keine Regelung enthalten ist, nach der eine „Mehrwertsteuergruppe” als Steuerpflichtigen behandeln werden kann, fehlt es der Finanzverwaltung an dem Instrument die ausgezahlte Umsatzsteuer gegenüber einem anderen Steuerpflichtigen (wieder) festzusetzen. Die Auszahlung ist damit definitiv.
Wie bereits in unserem Webinar eliotax.update22 dargestellt, ist es mithin elementar, dass Umsatzsteuerfestsetzungen des Organträgers – auch für Vorjahre – offen gehalten werden. Die umsatzsteuerliche Organschaft wankt, ob Sie kippt ist noch nicht klar. Hier und jetzt geht es zunächst darum alle Handlungsoptionen offen zu halten.
Dabei ist hilfreich, dass alle Umsatzsteuerfestsetzungen zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen worden sind. Demzufolge können sie noch leicht und einfach geändert werden. Vorsicht ist immer dann geboten, wenn Bescheide zur Umsatzsteuer erlassen werden, in denen der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wird (z.B. nach einer Betriebsprüfung oder als Maßnahme der Finanzverwaltung den potentiellen Schaden für den Fiskus aus diesem Thema möglichst gering zu halten). Diese Bescheide sollten sofort dem steuerlichen Berater vorgelegt werden und mit Einspruch offen gehalten werden. In allen anderen Fällen empfehlen wir einen Antrag auf Änderung zu stellen und so die Rechtschutzinteressen zu wahren.
Die Schlussanträge finden sich in deutscher Sprache auf der Website des EuGH:
