Anerkennung der Organisation des Zivildienstes als allgemeinen Zweckbetrieb

BFH, Beschluss vom 15.03.2022 (V R 46/19): Die von einem gemein­nüt­zi­gen Ver­ein erbrach­ten Leis­tun­gen im Rah­men der Ver­wal­tung des Zivil­diens­tes nach § 5a Abs. 2 ZDG begrün­den ‑ ent­ge­gen BMF-Schrei­ben vom 18.08.2015 (BStBl. I 2015, S. 659) ‑ einen all­ge­mei­nen Zweck­be­trieb nach § 65 AO (Anschluss an BFH-Urteil v. 23.07.2009, V R 93/07, BStBl. II 2015, S. 735).

In dem Kla­ge­ver­fah­ren war strei­tig, ob die erziel­ten Über­schüs­se eines gemein­nüt­zi­gen Ver­eins im Rah­men der Zivil­dienst­ver­wal­tung dem ertrag­steu­er­frei­en Zweck­be­trieb zuzu­ord­nen sind. Der BFH sowie auch das FG Müns­ter als Vor­in­stanz (Urteil v. 19.06.2019, 9 K 2483/19 K, G) bestä­tig­ten dies und fes­tig­ten somit ihre Recht­spre­chung. Bereits mit Urteil vom 23.07.2009 (V R 93/07) ent­scheid der V. Senat des BFH, dass eben die­se Leis­tun­gen im Rah­men der Ver­wal­tung des Zivil­diens­tes von der Umsatz­steu­er befreit sei­en. Laut Auf­fas­sung der Finanz­ver­wal­tung war die ent­gelt­li­che Über­nah­me von Ver­wal­tungs­auf­ga­ben für das Bun­des­amt für Zivil­dienst bis­her dem steu­er­pflich­ti­gen wirt­schaft­li­chen Geschäfts­be­trieb zuzu­ord­nen (BMF v. 18.08.2015, BStBl. I 2015, S. 659). Der BFH-Beschluss vom 15.03.2022 wur­de am 28.07.2022 auf der Home­page des BFH ver­öf­fent­licht (Link zum Beschluss). Lesen Sie in der fol­gen­den Zusam­men­fas­sung mehr zum Inhalt und der prak­ti­schen Bedeutung.

Zweckbetriebsvoraussetzungen § 65 AO

Ein Zweck­be­trieb ist nach § 65 AO gesetz­lich dann gege­ben, wenn

  1. der wirt­schaft­li­che Geschäfts­be­trieb in sei­ner Gesamt­rich­tung dazu dient, die steu­er­be­güns­tig­ten sat­zungs­mä­ßi­gen Zwe­cke der Kör­per­schaft zu verwirklichen,
  2. die Zwe­cke nur durch einen sol­chen Geschäfts­be­trieb erreicht wer­den kön­nen und
  3. der wirt­schaft­li­che Geschäfts­be­trieb zu nicht begüns­tig­ten Betrie­ben der­sel­ben oder ähn­li­cher Art nicht in grö­ße­rem Umfang in Wett­be­werb tritt, als es bei Erfül­lung der steu­er­be­güns­tig­ten Zwe­cke unver­meid­bar ist.

Alle drei Vor­aus­set­zun­gen müs­sen kumu­la­tiv erfüllt sein. 

Aus dem BFH-Beschluss

Zu § 65 Nr. 1 AO:
Im Rah­men der ers­ten Vor­aus­set­zung sei es not­wen­dig, dass der zu wür­di­gen­de wirt­schaft­li­che Geschäfts­be­trieb und die die­sem zugrun­de­lie­gen­de Tätig­kei­ten zur Ver­wirk­li­chung des eige­nen Sat­zungs­zwecks die­nen. Nicht aus­rei­chend wäre es, wenn nur die zusätz­li­chen Ein­nah­men der Zweck­ver­wirk­li­chung nützten.

Dies erfüll­te der Ver­ein, da die­ser als „uner­läss­li­ches Bin­de­glied“ zwi­schen den Zivil­dienst­leis­ten­den und deren Ein­satz­stel­len in den ver­schie­dens­ten sozia­len Berei­chen (Kran­ken­häu­sern, Alten­wohn­hei­men, etc.) fun­gier­te. Sowohl die Betreu­ung der Zivil­dienst­leis­ten­den als auch die Orga­ni­sa­ti­on deren Ein­sat­zes wur­den voll­stän­dig von dem Ver­ein abge­bil­det. Auf die­se Wei­se wur­de der Zweck­be­trieb der Wohl­fahrts­pfle­ge nach § 66 AO ver­wirk­licht, da der Ver­ein die erfolg­rei­che Durch­füh­rung des Zivil­diens­tes gewähr­leis­te­te und so hil­fe­be­dürf­ti­ge Men­schen in den Ein­rich­tun­gen unter­stützt wer­den konnten.

Hier­bei gehe die Tätig­keit des Ver­eins über eine bloß admi­nis­tra­ti­ve Leis­tung hin­aus, weil die Zivil­dienst­leis­tun­gen auf die­se Wei­se erst mög­lich wur­den. Folg­lich han­del­te es sich nach Auf­fas­sung der Gerich­te nicht bloß um eine rein mit­tel­ba­re För­de­rung des Sat­zungs­zwecks. Viel­mehr bestehe eine beson­de­re Nähe zum sozia­len Bereich.

Zu § 65 Nr. 2 AO:
Die sat­zungs­mä­ßi­gen Zwe­cke kön­nen nur durch einen sol­chen Geschäfts­be­trieb erreicht wer­den, wenn der wirt­schaft­li­che Geschäfts­be­trieb von der Ver­fol­gung des steu­er­be­güns­tig­ten Zwecks untrenn­bar und sogar unab­ding­bar für die Zweck­ver­wirk­li­chung sei. Hier­bei könn­ten auch – wie im zu ent­schei­den­den Fall – der Ver­ein und meh­re­re Beschäf­ti­gungs­stel­len arbeits­tei­lig zusam­men­wir­ken. Nur gemein­sam war die Durch­füh­rung mit­hin möglich.

Für die Beja­hung der Vor­aus­set­zung des § 65 Nr. 2 AO sei maß­geb­lich, ob der gemein­nüt­zi­ge Zweck auch ohne die­sen Geschäfts­be­trieb durch die ande­re Kör­per­schaft erreicht wer­den kann. Inwie­fern Drit­te die­se Tätig­keit erbrin­gen könn­ten, sei unerheblich.

Zu § 65 Nr. 3 AO:
Der letz­ten Vor­aus­set­zung hin­ge­gen liegt das Ver­hält­nis zu Drit­ten zugrun­de. Im Ent­schei­dungs­fall lie­ge kei­ne Wett­be­werbs­ver­zer­rung vor, da ledig­lich ande­re Ver­bän­de für die ihnen ange­hö­ren­den Beschäf­ti­gungs­stel­len als Belie­he­ne vom Bun­des­amt für die­se Auf­ga­be beauf­tragt wer­den können.

Der BFH sah alle Vor­aus­set­zun­gen zur Anwen­dung des § 65 AO als erfüllt an und wies die Revi­si­on des Finanz­amts als unbe­grün­det zurück.

Unsere Kommentierung

Für Ein­rich­tun­gen, die im Auf­trag des dama­li­gen Bun­des­amts für Zivil­dienst die beson­de­ren Ver­wal­tungs­leis­tun­gen im Rah­men des sog. Über­tra­gungs­ver­trags über­nom­men haben, ist der BFH-Beschluss sehr erfreu­lich. Bereits die Vor­in­stanz, das FG Müns­ter, hat­te ein­deu­tig im Sin­ne des Ver­eins geur­teilt. Der BFH hat sich knapp drei Jah­re spä­ter der Auf­fas­sung des FG Müns­ter voll­um­fäng­lich ange­schlos­sen und den all­ge­mei­nen Zweck­be­trieb im Sin­ne des § 65 AO für die in Rede ste­hen­den Ver­wal­tungs­leis­tun­gen bestä­tigt. Auch wenn die Ver­öf­fent­li­chung des BFH-Beschlus­ses im Bun­des­steu­er­blatt noch aus­steht, kön­nen sich unse­res Erach­tens die Ver­trags­part­ner des dama­li­gen Bun­des­amts für Zivil­dienst auf die Erstat­tung zu viel ent­rich­te­ter Kör­per­schaft- und Gewer­be­steu­er samt Ver­zin­sung freu­en. Vor­aus­ge­setzt, die Steu­er­be­schei­de wur­den auch für die­se Steu­er­ar­ten und die betrof­fe­nen Ver­an­la­gungs­zeit­räu­me offengehalten. 

Die jüngs­te Recht­spre­chung zum § 65 AO bleibt ihrer Linie treu: Dem Kri­te­ri­um der Sat­zungs­mä­ßig­keit des § 65 AO wird hohe Bedeu­tung bei­gemes­sen. Will sich eine gemein­nüt­zi­ge Kör­per­schaft auf den all­ge­mei­nen Zweck­be­trieb beru­fen, soll­te sie die for­mel­len Vor­aus­set­zun­gen im Sin­ne der Sat­zungs­mä­ßig­keit genau unter die Lupe neh­men. Erneut hat der BFH klar­ge­stellt, dass Leis­tun­gen, die eng mit­ein­an­der ver­zahnt durch meh­re­re Akteu­re erbracht wer­den, nicht iso­liert betrach­tet unmit­tel­bar steu­er­be­güns­tig­te Zwe­cke ver­fol­gen müs­sen. Viel­mehr kommt es unse­res Erach­tens zu recht auf das Gesamt­bild an. Ganz neben­bei wird durch die Recht­spre­chung impli­zit der neue § 57 Abs. 3 AO (plan­mä­ßi­ges Zusam­men­wir­ken) in sei­ner prak­ti­schen Anwen­dung bestätigt.

Sie haben Fra­gen zu den prak­ti­schen Aus­wir­kun­gen des BFH-Beschlus­ses oder sind sich bei der Anwen­dung des all­ge­mei­nen Zweck­be­triebs im Hin­blick auf die for­mel­le Sat­zungs­mä­ßig­keit sowie die gemein­nüt­zig­keits­recht­li­che Beur­tei­lung eines Leis­tungs­bün­dels unsi­cher? Spre­chen Sie uns dazu jeder­zeit ger­ne an.

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