Wohngemeinnützigkeit reloaded?

Seit Kriegs­be­ginn in der Ukrai­ne zie­hen die Prei­se für End­ver­brau­cher infla­ti­ons­be­dingt hef­tig an. Ins­be­son­de­re bei Lebens­mit­teln, Heiz- und Ener­gie­kos­ten schlägt sich das im Haus­halt vie­ler Men­schen enorm nie­der. Schließ­lich stei­gen die Löh­ne und Sozi­al­leis­tun­gen nicht in glei­chem Maße. Nun zeich­net sich ab, dass der für Mie­ter ins­be­son­de­re in Bal­lungs­zen­tren ohne­hin schwie­ri­ge Woh­nungs­markt eben­falls auf die hohen Infla­ti­ons­ra­ten reagie­ren wird. Die seit Jah­ren im Raum ste­hen­de For­de­rung nach bezahl­ba­rem Wohn­raum, ins­be­son­de­re für Fami­li­en mit Kin­dern, Aus­zu­bil­den­de, Stu­die­ren­de und Rent­ner in Bal­lungs­zen­tren gerät durch die aktu­el­le Preis­ent­wick­lung noch mehr in den Fokus. Es besteht drin­gen­der Hand­lungs­be­darf. So meh­ren sich die For­de­run­gen nach einer Wie­der­ein­füh­rung der Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit, die schon lan­ge Zeit Tra­di­ti­on in Deutsch­land hat­te. Die Bun­des­re­gie­rung hat das The­ma in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag verankert. 

Absichts­er­klä­rung der Bundesregierung

Nach­dem ein ers­ter Geset­zes­ent­wurf der Grü­nen zwar am 19. Mai 2020 im Aus­schuss für Bau, Woh­nen, Stadt­ent­wick­lung und Kom­mu­nen des Bun­des­tags schei­ter­te, schaff­te es die Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit nun auf Sei­te 88 des Koali­ti­ons­ver­trags der aktu­el­len Regie­rungs­par­tei­en. Knapp 30 Jah­re nach der Abschaf­fung der Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit aus den Steu­er­ge­set­zen lässt sich das The­ma nun also erst­ma­lig wie­der im öffent­li­chen poli­ti­schen Dis­kurs ver­or­ten. Pro­kla­mier­tes Ziel der Koali­tio­nä­re ist dabei, den ste­tig stei­gen­den Miet­prei­sen in Bal­lungs­zen­tren, Groß- und Uni­ver­si­täts­städ­ten ent­ge­gen­zu­wir­ken und die Schaf­fung eines Gegen­ge­wichts zum fort­schrei­ten­den Abbau der Sozi­al­woh­nun­gen. Der voll­stän­dig markt­li­be­ra­len und selbst­re­gu­lie­ren­den Woh­nungs­po­li­tik der ver­gan­ge­nen Deka­den ertei­len die neu­en Regie­rungs­par­tei­en damit eine kla­re Absage.

Umset­zungs­mög­lich­kei­ten einer neu­en Wohngemeinnützigkeit

Die Auf­nah­me der Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit in den Koali­ti­ons­ver­trag ist durch­aus posi­tiv zu bewer­ten, den­noch schwebt über alle­dem ein omni­prä­sen­tes „Und wie genau?“. Wäh­rend der Geset­zes­ent­wurf aus März 2020 noch ein voll­stän­dig neu­es „Wohn­ge­mein­nüt­zig­keits­ge­setz“ vor­sah und ande­re Geset­ze ledig­lich in Nuan­cen hät­ten geän­dert wer­den sol­len, schweigt der neue Koali­ti­ons­ver­trag über eine kon­kre­te Umset­zung gänzlich.

Eine Dis­kus­si­on rund um das The­ma dürf­te neben der öko­no­mi­schen und sozia­len Bewer­tung der Wie­der­ein­füh­rung auch der recht­li­chen Fra­ge nach­ge­hen müs­sen, ob ein eigen­stän­di­ges Wohn­ge­mein­nüt­zig­keits­ge­setz erfor­der­lich ist oder ob – unter Wah­rung der all­ge­mei­nen gemein­nüt­zig­keits­recht­li­chen Grund­sät­ze – eine Auf­nah­me in den bestehen­den Zweck­ka­ta­log des § 52 AO erfol­gen wird. Alter­na­tiv wäre eine Ergän­zung der mild­tä­ti­gen Zwe­cke im Sin­ne des § 53 AO, kon­kret die Erwei­te­rung der Defi­ni­ti­on zur Hilfs­be­dürf­tig­keit denk­bar. Will man den Beson­der­hei­ten des Woh­nungs­mark­tes und der Woh­nungs­wirt­schaft ordent­lich Rech­nung tra­gen, bie­tet sich die Schaf­fung eines eigen­stän­di­gen Geset­zes ohne gemein­nüt­zig­keits­recht­li­ches Kor­sett an. Möch­te man die bereits durch vie­le gemein­nüt­zi­ge Orga­ni­sa­tio­nen geschaf­fe­nen Struk­tu­ren zur Wohn­raum­über­las­sung för­dern und den Kno­ten für wei­te­re Inves­ti­tio­nen in bezahl­ba­ren Wohn­raum durch die­se Orga­ni­sa­tio­nen durch­schla­gen, bie­tet sich eine wei­te­re Reform des Gemein­nüt­zig­keits­rechts an. Mög­li­cher­wei­se wür­de die Kom­bi­na­ti­on ver­schie­de­ner gesetz­ge­be­ri­scher Impul­se den Not­stand sogar schnel­ler bekämp­fen können. 

Anknüp­fungs­punk­te im bestehen­den Gemeinnützigkeitsrecht

Seit Jahr­zehn­ten besteht bei gemein­nüt­zi­gen Kör­per­schaf­ten das Pro­blem, dass die rei­ne Ver­mie­tung von Woh­nun­gen gegen Ent­gelt grund­sätz­lich dem Bereich der Ver­mö­gens­ver­wal­tung zuge­ord­net wird. Die Errich­tung von Woh­nun­gen ist daher nur aus den – meist knap­pen – frei­en, nicht zeit­nah zu ver­wen­den­den Mit­teln zuläs­sig ist. Unter engen Vor­aus­set­zun­gen ist die ent­gelt­li­che Ver­mie­tungs­ak­ti­vi­tät dem Bereich des steu­er­be­güns­tig­ten Zweck­be­trie­bes zuor­den­bar und infol­ge­des­sen die Errich­tung von Wohn­raum aus zeit­nah zu ver­wen­den­den Mit­teln zuläs­sig. Für die Zuord­nung der Ver­mie­tungs­tä­tig­keit zum steu­er­be­güns­tig­ten Zweck­be­trieb ist nach aktu­el­ler Auf­fas­sung nicht allei­ne die Hilfs­be­dürf­tig­keit der Mie­ter ausschlaggebend.

Ein Urteil des Bun­des­fi­nanz­ho­fes (BFH) aus dem Jah­re 1996 sieht die Zuord­nung von Woh­nun­gen zum Zweck­be­trieb der Wohl­fahrts­pfle­ge § 66 AO dann als zuläs­sig an, wenn unter Beach­tung der wei­te­ren Vor­aus­set­zun­gen des § 66 AO die Fest­le­gung des Miet­prei­ses mit dem Gebot der Selbst­lo­sig­keit kor­re­spon­diert. Das ist nach enger Aus­le­gung des BFH der Fall, wenn der Miet­preis maxi­mal die tat­säch­li­chen Auf­wen­dun­gen ein­schließ­lich der Regel-AfA abdeckt, kon­kret einen Gewinn­auf­schlag aus­schließt. Dies­seits wird die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass die BFH-Recht­spre­chung vor dem Hin­ter­grund neue­rer Rechts­ent­wick­lun­gen zum Zweck­be­trieb der Wohl­fahrts­pfle­ge (§ 66 AO) neu zu bewer­ten ist. Die Ver­mie­tung von Wohn­raum an hilfs­be­dürf­ti­ge Per­so­nen (§ 53 AO) kann unse­res Erach­tens dann als mild­tä­ti­ge Leis­tung zu wer­ten sein, wenn die Wohn­raum­über­las­sung einer steu­er­be­güns­tig­ten Kör­per­schaft der Leis­tung nach min­des­tens zu zwei Drit­tel an hilfs­be­dürf­ti­ge Per­so­nen (§ 53 AO) erfolgt, die auf­grund beson­de­rer sozia­ler Pro­ble­me unter Wohn­raum­not lei­den oder von ihr bedroht sind. Solan­ge der­ar­ti­ge, der Wohl­fahrts­pfle­ge die­nen­de Zie­le beab­sich­tigt sind, steht das auch einer „gewis­sen Gewinn­erzie­lung”, kon­kret der Vor­aus­set­zung „nicht des Erwerbs wegen“ (§ 66 Abs. 2 AO), nach unse­rer Auf­fas­sung nicht ent­ge­gen. Eine Kon­kre­ti­sie­rung die­ser Sicht­wei­se durch die Finanz­ver­wal­tung ist vor dem Hin­ter­grund aktu­el­ler Ent­wick­lun­gen drin­gend gebo­ten – lässt jedoch auf sich warten.

Mit Blick auf den deut­li­chen Trend der Ambu­lan­ti­sie­rung in der Alten­hil­fe hat die Finanz­ver­wal­tung Ende des Jah­res 2019 ihren Anwen­dungs­er­lass zur Abga­ben­ord­nung moder­ni­siert. Dem steu­er­be­güns­tig­ten Zweck­be­trieb der Alten‑, Alten­wohn- und Pfle­ge­hei­me (§ 68 Nr. 1 Buch­sta­be a AO) sind dem­nach Leis­tun­gen der Wohn­raum­über­las­sung sowie Pfle­ge und Betreu­ung dann zuzu­ord­nen, wenn Ver­trä­ge über der­ar­ti­ge Leis­tun­gen von­ein­an­der abhän­gig sind. Bei der Über­prü­fung der Ein­hal­tung die­ser Vor­aus­set­zun­gen beruft sich die Finanz­ver­wal­tung auf die Kri­te­ri­en der §§ 1, 2 des Wohn- und Betreu­ungs­ver­trags­ge­set­zes (WBVG). Das war ein ers­ter rich­ti­ger Schritt zur gemein­nüt­zig­keits­recht­li­chen För­de­rung der Wohn­raum­über­las­sung. Denn auf die­se Wei­se kann die Wohn­raum­über­las­sung dem steu­er­be­güns­tig­ten Zweck­be­trieb zuge­ord­net wer­den. Die­ser Trend soll­te unbe­dingt fort­ge­schrie­ben werden.

Unser Kom­men­tar

Die grund­sätz­li­che Wie­der­ein­füh­rung der Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit ist unse­res Erach­tens begrü­ßens­wert und stellt sicher­lich eine geeig­ne­te Ant­wort auf die Anspan­nun­gen des Woh­nungs­mark­tes in Bal­lungs­zen­tren, Groß- und Uni­ver­si­täts­städ­ten dar. Nach unse­rer Auf­fas­sung gibt es bereits im bestehen­den Gemein­nüt­zig­keits­recht etli­che Anknüp­fungs­punk­te, um die Wohn­raum­über­las­sung durch gemein­nüt­zi­ge Kör­per­schaf­ten stär­ker zu för­dern. Die Finanz­ver­wal­tung ist an die­ser Stel­le gefor­dert, ihren Anwen­dungs­er­lass kon­se­quent zu moder­ni­sie­ren. Unter­stüt­zung könn­te sie durch den Gesetz­ge­ber erhal­ten, indem er zum Bei­spiel den Zweck­ka­ta­log nach § 52 AO um die „För­de­rung der Wohn­raum­über­las­sung zur Bekämp­fung der Wohn­raum­not“ ergänzt. Alter­na­tiv, gege­be­nen­falls sogar ergän­zend, wür­de sich anbie­ten den Begriff der Hilfs­be­dürf­tig­keit im Sin­ne des § 53 AO um von Wohn­raum­not bedroh­te Men­schen zu ergän­zen.

Unge­ach­tet des­sen kann auch ein sepa­ra­tes Wohn­ge­mein­nüt­zig­keits­ge­setz sicher­lich hilf­reich sein, die aktu­el­le Situa­ti­on zu ver­bes­sern. Unab­hän­gig davon, wo wei­te­re Anrei­ze zur Schaf­fung von Wohn­raum ver­or­tet wer­den, ist sei­tens des Gesetz­ge­bers dar­auf zu ach­ten, dass die Ziel­set­zung bestehen­der und neu­er Geset­ze im Zusam­men­hang mit der Schaf­fung bezahl­ba­ren Wohn­raums har­mo­ni­siert wer­den. So soll­ten gemein­nüt­zi­ge Woh­nungs­un­ter­neh­men, steu­er­be­güns­tig­te Kör­per­schaf­ten und kom­mu­na­le Woh­nungs­un­ter­neh­men idea­ler­wei­se koope­rie­ren kön­nen, ohne dass ihnen dadurch steu­er­li­che und finan­zi­el­le Ein­bu­ßen ent­ste­hen. Mög­li­cher­wei­se bie­tet der neue § 57 Abs. 3 AO (plan­mä­ßi­ges Zusam­men­wir­ken) einen Anknüp­fungs­punkt für die Begüns­ti­gung der­ar­ti­ger Koope­ra­tio­nen. Es bleibt span­nend, wann und wie es in die Umset­zung gehen soll. Wir hal­ten Sie auf dem Laufenden.

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