Der BFH hat in seinem Urteil vom 17. November 2022 (V R 12/20) Stellung zu den Zweckbetriebsvoraussetzungen beim Verkauf von Hilfsmitteln für Blinde genommen und formuliert die Voraussetzungen zur Anwendung des Zweckbetriebs im Sinne des § 68 Nr. 4 AO (u. a. Fürsorge für blinde Menschen). Hervorzuheben sind nicht nur dessen weitere Ausführungen zum ermäßigten Umsatzsteuersatz, sondern auch zur hilfsweisen Anwendung der Voraussetzungen des Zweckbetriebs der Wohlfahrtspflege, § 66 AO.
Zum Anlass des Verfahrens: Eine gewerblich tätige GbR (Klägerin), deren Unternehmensgegenstand im Wesentlichen der Handel mit Waren und die Erbringung von Dienstleistungen für blinde und sehbehinderte Menschen ist, wendete sich in Form einer Konkurrentenklage gegen die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf die durch einen eingetragenen gemeinnützigen Verein (Beigeladene) erbrachten Leistungen. Im Gegensatz zum Beigeladenen unterliegen die Umsätze der Klägerin dem Regelsteuersatz in Höhe von 19 % und nicht dem ermäßigten Umsatzsteuersatz.
Die Auffassung der Vorinstanz
Der beigeladene gemeinnützige Verein vertreibt seine Produkte über ein Ladengeschäft sowie über das Internet. Diesen Betrieb betrachtete die Finanzverwaltung nicht als (steuerpflichtigen) wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, sondern als Zweckbetrieb im Sinne von § 66 AO in der in den Streitjahren (2004 bis 2012) geltenden Fassung. Entsprechend wurden die im vermeintlichen Zweckbetrieb erzielten Umsätze von der Finanzverwaltung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchstabe a Satz 1 UStG mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz (7 %) besteuert.
Das Finanzgericht hat die Klage, mit der die Klägerin begehrte, das Finanzamt zu verpflichten, die Umsätze des Beigeladenen aus seinem Betrieb ab dem Jahr 2003 bis zum Jahr 2012 dem Regelsteuersatz in Höhe von 19 % zu unterwerfen, als zulässig behandelt, aber als unbegründet abgewiesen.
Hiergegen wendete sich die Klägerin (GbR) mit der Revision, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts geltend machte. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchstabe a Satz 1 UStG sei nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, weil das Unionsrecht für nicht originär gemeinnützige Leistungen keine Steuerermäßigung vorsehe. Zudem seien § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 2 und 3 UStG, soweit sie zur Anwendung des Regelsteuersatzes führten, weit auszulegen. Deshalb werde zwar die Beratung von Blinden und Sehbehinderten von dem ermäßigten Steuersatz umfasst, der Verkauf von Waren und Dienstleistungen betreffe demgegenüber aber nicht die originär satzungsmäßigen gemeinnützigen Leistungen. Zusätzlich würde der Beigeladene in erster Linie zusätzliche Einnahmen durch die Ausführung solcher Umsätze erzielen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt würden.
Die Sicht des Bundesfinanzhofs
Der BFH erachtete die Revision der Klägerin als begründet. Das Urteil des Finanzgerichts sei aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuweisen. Der Verkauf von Waren soll grundsätzlich eine typische Handelstätigkeit darstellen, welche nicht die Voraussetzungen eines Zweckbetriebs im Sinne von § 68 Nr. 4 AO erfüllt. Somit käme nur der allgemeine und nicht der ermäßigte Umsatzsteuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchstabe a UStG in Betracht.
Der ermäßigte Umsatzsteuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchstabe a UStG käme in Betracht, wenn ein Zweckbetrieb vorliegen würde. Dieser soll beim Verkauf von Hilfsmitteln für blinde oder sehbehinderte Menschen über ein Ladengeschäft bejaht werden können, wenn über eine im Einzelhandel übliche reine Produktberatung hinaus, weitere fürsorgeorientierte Hilfestellungen gegeben werden. Beispielsweise könnten für neu erblindete Personen neben einer reinen Produktberatung weitere fürsorgeorientierte Hilfestellungen (Rat und Unterstützung bei zu stellenden Anträgen, Hilfe bei der Akzeptanz der neuen Lebenssituation, usw.) gegeben werden. Die Verkaufstätigkeiten könnten beispielsweise auch im Zusammenhang mit einem unentgeltlichen Kursangebot zur Förderung der gemeinnützigen Tätigkeit stehen.
Sollte der Beigeladene beim Warenverkauf in Einzelfällen sowohl in einer § 68 Nr. 4 AO entsprechenden Weise fürsorgend tätig gewesen sein, während sich seine Tätigkeit in anderen Fällen von der anderer Verkäufer nicht unterschied, sei zu beachten, dass eine Aufteilung in einen steuerbegünstigten Zweckbetrieb und einen steuerschädlichen Teil des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs ausscheidet, wenn die Verkaufstätigkeiten nicht trennbar sind. In solchen Fällen kann dann auf den überwiegenden Charakter der Tätigkeiten abzustellen sein, wobei die sich aus § 66 Abs. 3 Satz 1 AO ergebene Wertung (2/3‑Grenze) Berücksichtigung finden kann, so dass nicht durch Fürsorgegesichtspunkte geprägte Verkaufstätigkeiten von weniger als einem Drittel unbeachtlich sein können.
Es bleibt nun abzuwarten, was die weitere Sachverhaltsklärung ergibt und wie das zuständige FG entscheiden wird.
Bei Fragen sprechen Sie uns gerne jederzeit an oder blieben Sie immer auf dem Laufenden, in dem Sie sich zu unserem Newsletter anmelden!