Wissenschaftliches Editieren kann gemeinnützig sein

Mit Urteil vom 12. Mai 2022 ent­schied der Bun­des­fi­nanz­hof, dass eine Kör­per­schaft durch das wis­sen­schaft­li­che Edi­tie­ren im sog. Peer-Review-Ver­fah­ren und der damit ver­bun­de­nen Open-Access-Publi­ka­ti­on ihren steu­er­be­güns­ti­gen sat­zungs­mä­ßi­gen Zweck der För­de­rung von Wis­sen­schaft und For­schung selbst­los (§ 55 AO), aus­schließ­lich (§ 56) und unmit­tel­bar (§ 57 AO) ver­fol­gen kann.

Der Sach­ver­halt

Die Klä­ge­rin, Rechts­nach­fol­ge­rin der A gGmbH, die im Lauf des Ver­fah­rens­gangs auf die Klä­ge­rin ver­schmol­zen wur­de, stritt mit dem Beklag­ten (Finanz­amt) um die Steu­er­be­frei­ung wegen Gemein­nüt­zig­keit (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG; § 3 Nr. 6 GewStG).

Ver­trag­lich gere­gel­ter Gesell­schafts­zweck der A gGmbH war die För­de­rung von Wis­sen­schaft und For­schung (§ 52 Abs. 2 Nr. 1 AO) sowie die ent­spre­chen­de Mit­tel­be­schaf­fung dafür. Ver­wirk­licht wer­den soll­te der sat­zungs­mä­ßi­ge Zweck vor allem durch die Ver­öf­fent­li­chung wis­sen­schaft­li­cher Bei­trä­ge und die Zur­ver­fü­gung­stel­lung von Tech­ni­ken zur Infor­ma­ti­ons­fin­dung. Die Ver­öf­fent­li­chung der Fach­ar­ti­kel erfolg­te jedoch nicht unmit­tel­bar durch die A gGmbH, son­dern wur­de von der B LLC mit Sitz in den USA über­nom­men, an der die A gGmbH zu einem Drit­tel betei­ligt war. Die B LLC betrieb ein Open-Access Online-Jour­nal, wel­ches die wis­sen­schaft­li­chen Arti­kel für die All­ge­mein­heit kos­ten­los ver­öf­fent­lich­te. Für die Ver­öf­fent­li­chung zahl­ten die Autoren der Arti­kel eine ent­spre­chen­de Gebühr an die B LLC.

Die A gGmbH über­nahm die fach­li­che Prü­fung und Frei­ga­be der ein­ge­reich­ten Arti­kel wäh­rend des Publi­ka­ti­ons­pro­zes­ses (Peer-Review-Ver­fah­ren bzw. wis­sen­schaft­li­ches Edi­tie­ren). Sie erhielt dafür eine ange­mes­se­ne Ver­gü­tung von der B LLC. 

Das Finanz­amt (FA) ver­trat im Rah­men eines Antrags auf ver­bind­li­che Aus­kunft die Auf­fas­sung, dass die als „Edi­to­ren­tä­tig­keit” bezeich­ne­ten Tätig­kei­ten einen steu­er­pflich­ti­gen wirt­schaft­li­chen Geschäfts­be­trieb dar­stel­len und kei­nen steu­er­be­güns­tig­ten Zweck­be­trieb begrün­den. Inso­weit sei die A gGmbH bzw. ihre tat­säch­li­che Geschäfts­füh­rung (§ 63 AO) nicht gemein­nüt­zig. Die A gGmbH neh­me zudem neben der „edi­to­ri­el­len” Begut­ach­tungs­tä­tig­keit kei­ne wei­te­ren Auf­ga­ben wahr, wel­che auf die Ver­wirk­li­chung des steu­er­be­güns­tig­ten (sat­zungs­mä­ßi­gen) Zwecks gerich­tet wären. In der Gesamt­schau ergä­be sich damit, dass die Unter­hal­tung des wirt­schaft­li­chen Geschäfts­be­triebs der „edi­to­ri­el­len” Begut­ach­tungs­tä­tig­keit ein blo­ßer Selbst­zweck sei.

Auf die­se Argu­men­ta­ti­on gestützt, erließ das Finanz­amt ent­spre­chen­de Steu­er­be­schei­de für das Jahr 2017, mit denen es die Gemein­nüt­zig­keit nicht anerkannte.

Die Ent­schei­dun­gen der Gerichte

Nach zunächst vom Finanz­ge­richt (FG) Baden Würt­tem­berg mit Urteil v. 14. Okto­ber 2019 zurück­ge­wie­se­ner Sprung­kla­ge gegen die Beschei­de aus 2017, sah der Bun­des­fi­nanz­hof (BFH) die ein­ge­leg­te Revi­si­on als begrün­det an, hob das Urteil des FG auf und ver­wies die Sache schließ­lich zur wei­te­ren Ver­hand­lung zurück an das FG.

Der V. Senat des BFH betrach­te­te die Sach­la­ge dif­fe­ren­zier­ter als das FA und das FG und stell­te ins­be­son­de­re auf die gemein­nüt­zig­keits­recht­li­chen Grund­sät­ze ab:

Nach Auf­fas­sung des BFH, sei das FG unrich­ti­ger­wei­se davon aus­ge­gan­gen, dass die A gGmbH vor­ran­gig, d.h. „in ers­ter Linie”, und nicht nur neben­bei ihre eige­nen wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen geför­dert habe und inso­fern nicht selbst­los i.S.d. § 55 Abs. 1 AO tätig gewe­sen sei. Er argu­men­tier­te, dass die vom FG ange­nom­me­ne Gewinn­erzie­lungs­ab­sicht ledig­lich dar­aus ablei­tet wur­de, dass sich aus even­tu­el­len Gewinn­aus­schüt­tun­gen der B LLC an die A gGmbH Gewinn­chan­cen ergä­ben und die A gGmbH von der B LLC eine Zusatz­ge­bühr erhielt, sofern bestimm­te Men­gen an Bei­trä­gen wis­sen­schaft­lich zu edi­tie­ren waren. So stell­te das FG ledig­lich auf den Lage­be­richt und die dar­in erwähn­ten Gewinn­chan­cen ab. Einen Zusam­men­hang zwi­schen der Zusatz­ge­bühr und zusätz­lich ent­stan­de­nen Kos­ten wur­de laut BFH trotz vor­lie­gen­der Ver­ein­ba­rung nicht her­ge­stellt bzw. gänz­lich ver­nach­läs­sigt. Zudem setzt sich das FG nach Auf­fas­sung des BFH in kei­ner Wei­se mit dem Erfor­der­nis aus­ein­an­der, ob sich hier­aus ein Vor­rang eigen­wirt­schaft­li­cher Inter­es­sen erge­ben könnte.

Dar­über hin­aus befand der Senat, dass die Ent­schei­dung, die A gGmbH ver­fol­ge nicht aus­schließ­lich steu­er­be­güns­tig­te Zwe­cke i.S.v. § 56 AO rechts­feh­ler­haft sei. Eben­falls rechts­feh­ler­haft sei zudem die Beru­fung auf das Urteil in der Rechts­sa­che I R 76/05 vom 4. April 2007. So sei das wis­sen­schaft­li­che Edi­tie­ren im vor­lie­gen­den Streit­fall gera­de dar­auf aus­ge­rich­tet den gemein­nüt­zi­gen Zweck, die För­de­rung von Wis­sen­schaft und For­schung gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, der A gGmbH zu erfül­len und gera­de kein Selbst­zweck. Zudem ist die Tätig­keit kei­ne vom gemein­nüt­zi­gen Zweck der A gGmbH los­ge­lös­te Tätig­keit, kein davon unab­hän­gi­ger Haupt­zweck und kei­ne blo­ße Neben­tä­tig­keit. Inso­fern ist die Tätig­keit der A gGmbH dar­auf aus­ge­rich­tet die All­ge­mein­heit zu fördern. 

Auch den Grund­satz der Unmit­tel­bar­keit i.S.d. § 57 Abs. 1 AO sah der BFH, in Abwei­chung zur Mei­nung des Finanz­ge­richts, als erfüllt an. Im Streit­fall sei das FG zu Unrecht davon aus­ge­gan­gen, dass die A gGmbH aus­schließ­lich Leis­tun­gen gegen­über der B LLC erbracht habe. So för­der­te die A gGmbH ihren eige­nen steu­er­be­güns­tig­ten Zweck, die För­de­rung der Wis­sen­schaft und For­schung, inso­weit unmit­tel­bar, als sie durch eine bei ihr ange­stell­te Edi­to­rin die Wis­sen­schafts­er­geb­nis­se bewer­te­te und zur Ver­öf­fent­li­chung an die B LLC frei­gab. Das wis­sen­schaft­li­che Edi­tie­ren erfol­ge dabei nicht wei­sungs­ge­bun­den son­dern unmit­tel­bar i.S.v. „eigen­hän­dig” durch die bei der A gGmbH ange­stell­te Edi­to­rin. Die A gGmbH sei damit kei­ne rei­ne Hilfs­per­son der nicht gemein­nüt­zi­gen B LLC.

Ins­ge­samt sah der BFH die gemein­nüt­zig­keits­recht­li­chen Grund­sät­ze i.S.d. §§ 55 bis 57 AO als erfüllt an.

Der BFH befand abschlie­ßend, dass sich das Urteil des FG auch inso­weit als unzu­tref­fend erwies, als es einen unver­meid­ba­ren Wett­be­werb i.S.v. § 65 Nr. 3 AO bejaht hat, ohne die hier­für erfor­der­li­che Inter­es­sen­ab­wä­gung als sog. zwei­te Stu­fe der Wett­be­werbs­prü­fung vor­zu­neh­men. Dabei ver­wies der BFH auf ein jün­ge­res Urteil von sich aus dem Jahr 2021 (BFH-Urteil v. 26. August 2021 – V R 5/19, wir berich­te­ten hier).

Das Finanz­ge­richt wur­de durch die Zurück­wei­sung dazu auf­ge­for­dert die Vor­aus­set­zun­gen der §§ 55 bis 57 AO erneut zu prü­fen und bei deren Beja­hung im Rah­men von § 65 AO (all­ge­mei­ner Zweck­be­trieb) ins­be­son­de­re kon­kre­te Fest­stel­lun­gen dazu zu tref­fen, ob gemäß § 65 Nr. 3 AO ein wirt­schaft­li­cher Geschäfts­be­trieb zu nicht begüns­tig­ten Betrie­ben der­sel­ben oder ähn­li­cher Art nicht in grö­ße­rem Umfang in Wett­be­werb tritt, als er bei Erfül­lung der steu­er­be­güns­tig­ten Zwe­cke unver­meid­bar ist. 

Unse­re Einschätzung

Das Urteil des BFH zeigt erneut, wie kom­plex die Befol­gung der gemein­nüt­zig­keits­recht­li­chen Grund­sät­ze in der Pra­xis ist und wie groß die damit ver­bun­de­ne Rechts­un­si­cher­heit sein kann. Auch bei ver­meint­lich offen­sicht­li­cher Rechts­la­ge, wie die rechts­feh­ler­haf­te Anwen­dung der Urteils­grund­sät­ze aus 2021 (BFH-Urteil v. 26. August 2021 – V R 5/19) durch das Finanz­ge­richt zeigt, kann ein dif­fe­ren­zier­ter Blick auf den Sach­ver­halt hel­fen, die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Finanz­ver­wal­tung für sich zu ent­schei­den. Stets ent­schei­dend bleibt jedoch, wie sich die tat­säch­li­che Geschäfts­füh­rung der jewei­li­gen Kör­per­schaft gestal­tet, d.h. die Kör­per­schaft tat­säch­lich han­delt. Ein sorg­sam aus­ge­ar­bei­te­tes steu­er­li­ches Risi­ko­ma­nage­ment­sys­tem, ein sog. Tax Com­pli­ance Manage­ment Sys­tem (TCMS), mit klar defi­nier­ten Pro­zes­sen kann dabei hel­fen eine Kon­fron­ta­ti­on mit der Finanz­ver­wal­tung ver­meid­bar zu machen. 

Gegen­wär­tig noch leicht ernüch­ternd ist hin­ge­gen die Tat­sa­che, dass kon­kre­te Aus­füh­run­gen zu § 65 Nr. 3 AO, also der Wett­be­werbs­fra­ge bei all­ge­mei­nen Zweck­be­trie­ben, aus­ge­blie­ben sind. Ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund des Urteils vom 26. August 2021 in der Rechts­sa­che V R 5/19, darf mit eini­ger Span­nung erwar­tet wer­den, wie die erfor­der­li­che Inter­es­sen­ab­wä­gung der sog. zwei Stu­fen Wett­be­werbs­prü­fung für die Pra­xis wei­ter kon­kre­ti­siert wird. 

Wei­ter­hin ent­schei­dend bleibt zudem, dass eine Kör­per­schaft, die sich auf den all­ge­mei­nen Zweck­be­trieb im Sin­ne des § 65 AO beru­fen will, die for­mel­len Sat­zungs­vor­aus­set­zun­gen mit dem Zweck­be­trieb und des­sen Leis­tun­gen abstimmt. Der Zweck­be­trieb darf nicht zum Selbst­zweck der Kör­per­schaft werden.

Ger­ne ste­hen wir Ihnen als Team bei Fra­gen zum bespro­che­nen BFH-Urteil, bei steu­er­li­chen Fra­ge­stel­lun­gen zur Sat­zungs­mä­ßig­keit oder bei der Kon­zep­tio­nie­rung und prak­ti­schen Umset­zung eines TCMS zur Verfügung.

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