UPDATE vom 17.06.2021 – Der Gesetzesentwurf zum Verbandssanktionengesetz ist gescheitert.
Mit dem Gesetz zu Unternehmenssanktionen wollte die Koalition wirtschaftliche Kriminalität bekämpfen. Nun ist der Entwurf endgültig ad acta gelegt worden. Gegenwind kam vor allem aus der Unionsfraktion (Bericht der FAZ vom 09.06.2021). Vorerst können Verbände daher aufatmen. Aber die Wahlprogramme einiger Parteien deuten darauf hin, dass das Unternehmensstrafrecht in der kommenden Legislaturperiode in die nächste Runde gehen wird. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
Unser Beitrag vom 31.03.2021:
Es ist dem Vernehmen nach nur noch eine Frage der Zeit, wann das Verbandssanktionengesetz (VerSanG) verabschiedet wird, schließlich befindet es sich in der letzten Phase des Gesetzgebungsverfahrens. Zuletzt hat die Bundesregierung den Entwurf in den Bundestag eingebracht (21. Oktober 2020; BT-Drucks. 19/23568) und die FDP-Fraktion erkundigt sich bereits mit einer Kleinen Anfrage nach den Folgen des VerSanG für das Steuerrecht und Steuerstrafrecht (4. Februar 2021; BT-Drucks. 19/26453).
Erfahren Sie im Beitrag, was dieses Gesetz mit sich bringt, wen es betrifft und was zu tun ist, um unangenehme Konsequenzen zu vermeiden.
Das deutsche Recht bestraft aktuell natürliche, nicht jedoch juristische Personen. Straftaten, die aus Verbänden (juristische Personen aber auch Personenvereinigungen wie bspw. OHG, KG, Außen-GbR) heraus begangen werden, können somit gegenüber dem Verband zurzeit lediglich mit einer Geldbuße nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) geahndet werden. Daher wurde ein Gesetzentwurf zum Unternehmensstrafrecht vorgelegt, der das Ziel verfolgt, künftig zusätzlich auch die Verbände selbst sanktionieren zu können.
Voraussetzung zur Verhängung einer Verbandssanktion ist das Vorliegen einer Verbandstat, die dem Verband zugerechnet werden kann. Eine Verbandstat ist eine Straftat, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist. Das bedeutet, dass künftig beispielsweise eine Steuerstraftat nicht nur dazu geeignet ist, den gesetzlichen Vertreter zu belangen, sondern gleichzeitig auch ein Ermittlungsverfahren im Sinne des VerSanG gegenüber dem Unternehmen ausgelöst wird. Durch das sog. Legalitätsprinzip wird den Ermittlungsbehörden jedweder Ermessensspielraum genommen, über die grundsätzliche Frage zu entscheiden, ob ein Verfahren im Sinne des VerSanG eingeleitet oder – wegen Geringfügigkeit – davon abgesehen wird.
Die Verantwortlichkeit des Verbandes kann durch zwei unterschiedliche Arten der Verbandstat begründet werden:
- Wenn die Verbandstat durch eine Leitungsperson (Geschäftsführer, Vorstand etc.) begangen wurde oder
- eine Nicht-Leitungsperson die Verbandstat begangen hat und durch die Leitungspersonen des Verbandes keine angemessenen Compliance-Maßnahmen initiiert wurden, welche die Verbandstag hätten verhindern oder wesentlich erschweren können.
Mit Blick auf die Verbände in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft könnte die Anwendung des VerSanG gegebenenfalls dadurch ausgeschlossen sein, dass zwischenzeitlich eine Einschränkung der Anwendung auf Verbände vorgenommen wurde, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist.
Zur Bestimmung, ob der Verband einen wirtschaftlichen Zweck verfolgt, sollen die durch den Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Entscheidung zum Vereinsstatus eines Betreibers von Berliner Kitas entwickelten Grundsätze heranzuziehen sein (vgl. Beschluss des BGH vom 16.05.2017). Danach handelte es sich bei dem Betrieb der Kitas grundsätzlich um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Dieser Geschäftsbetrieb sei aber dem ideellen Hauptzweck des Vereins zugeordnet und falle deshalb unter das sogenannte Nebenzweckprivileg. Dabei komme der Anerkennung eines Vereins als gemeinnützig im Sinne des Steuerrechts entscheidende Bedeutung zu. Diese Anerkennung indiziere, dass ein Verein nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb als Hauptzweck ausgerichtet ist.
Zwischenfazit: Unter Rückgriff auf die vorstehende Rechtsprechung dürfte das VerSanG regelmäßig bei all jenen Verbänden der Gesundheits- und Sozialwirtschaft keine Anwendung finden, die als gemeinnützig i. S. d. § 52 AO anerkannt sind – unabhängig davon, ob sie als Verein, Stiftung, GmbH, AG oder eG geführt werden. Denn ungeachtet ihres jeweiligen Betätigungsfelds ist steuerbefreiten Körperschaften gemein, dass die im Rahmen ihrer (untergeordneten) wirtschaftlichen Tätigkeit erzielten Gewinne für gemeinnützige Zwecke eingesetzt werden müssen und somit dem Nebenzweckprivileg Genüge getan ist. Gleiches dürfte dann auch für Verbände gelten, die mildtätige (§ 53 AO) oder kirchliche (§ 54 AO) Zwecke verfolgen.
Kritik: Höchst umstritten ist jedoch, ob sich durch den Rückgriff auf die Kita-Rechtsprechung gemeinnützige Verbände nicht in falscher Sicherheit wiegen. Denn durch die Bezugnahme auf die Kita-Entscheidung des BGH wird unseres Erachtens der Anschein suggeriert, es gäbe einen verlässlichen Maßstab. Zwar vermag dieser auf den ersten Blick dabei helfen, diejenigen Verbände, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, von denjenigen abzugrenzen, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Bei genauerer Betrachtung wird man jedoch feststellen, dass die Frage nach Vereinsklassenabgrenzung per se ein Dauerbrenner in Rechtsprechung und Wissenschaft ist, deren Definitions- und Auslegungsfragen durch die Kita-Entscheidung nicht gelöst, sondern lediglich verlagert wurden. Es ist mithin nicht auszuschließen, dass Strafverfolgungsbehörden und Gerichte im Einzelfall zu einer anderen Einschätzung über die Anwendung des VerSanG gelangen.
Gesamtfazit: Unabhängig von der durchaus theoretischen Frage, ob und für wen das kommende VerSanG Anwendung findet, ist deutlich geworden, dass der Gesetzgeber Unternehmen stärker in die Verantwortung nehmen möchte. Diejenigen, die in Compliance-Maßnahmen zur Vermeidung von Straftaten investieren, sollen künftig durch Sanktionsmilderungen davon profitieren. Zweifelsohne liefert das Gesetzesvorhaben neben dem steuer(straf)rechtlichen Verfahrensrecht der Abgabenordnung, dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten und den vielen Empfehlungen ein Tax Compliance Management-System einzuführen, einen weiteren Anlass, dies ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Selbst für Verbände, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, werden sich Compliance-Maßnahmen künftig auszahlen, denn für diese ist und bleibt zumindest das OWiG anwendbar – wonach bereits im Falle der Fahrlässigkeit eine Geldbuße von bis zu fünf Millionen Euro verhängt werden kann.
Wie Sie die ersten Grundlagen für ein Tax Compliance Management-System im Unternehmen mit möglichst wenig Auswirkungen für bestehende Prozesse und Organisation schaffen, erläutern wir Ihnen gerne in einem persönlichen Gespräch.
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